Timbuktu by Auster Paul

Timbuktu by Auster Paul

Autor:Auster, Paul [Paul, Auster]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt Verlag
veröffentlicht: 1999-06-25T16:00:00+00:00


4

Drei Tage lang lief Mr. Bones weiter, und während dieser ganzen Zeit legte er kaum eine Rast ein und suchte sich auch nichts zu fressen. Als er schließlich stehenblieb, befand er sich irgendwo im nördlichen Virginia und streckte auf einer Weide neunzig Meilen westlich vom Hinterhof der Chows alle viere von sich. Zweihundert Meter vor ihm ging die Sonne hinter einem kleinen Eichenhain unter. In einiger Entfernung schössen ein halbes Dutzend Schwalben hin und her und glitten auf Mückenfang über das Feld, und in der Dunkelheit der Zweige hinter ihm tschilpten die Vögel ein paar letzte Strophen, bevor sie sich zur Nachtruhe begaben. Mr. Bones lag schwer atmend und mit heraushängender Zunge im hohen Gras und fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn er die Augen schloß - und ob er sie am Morgen wieder aufschlagen würde, so müde und hungrig, so durcheinander war er von der Tortur dieses Marathons. Gut möglich, fand er, daß er nicht wieder aufwachte, wenn er jetzt einschlief.

Er sah zu, wie die Sonne hinter den Bäumen versank, und während die Dunkelheit sich langsam um ihn ausbreitete, bemühte er sich, die Augen offenzuhalten. Er hielt nicht länger als ein, zwei Minuten durch, doch bevor ihn die Müdigkeit endgültig übermannte, schwirrten ihm schon die ersten Gedanken an Willy durch den Kopf, flüchtige Bilder aus vergangenen Tagen voller Rauchringe und Lucky Strikes, Bilder von all den verrückten Kapriolen ihres gemeinsamen Lebens, das so lange her zu sein schien. Zum erstenmal seit dem Tod seines Herrchens konnte er an diese Dinge denken, ohne gleich vom Kummer erschlagen zu werden, zum erstenmal begriff er, daß die Erinnerung ein Ort war, ein realer Ort, den man aufsuchen konnte, und daß es nicht unbedingt schlecht war, ein paar Augenblicke bei den Toten zu verweilen, sondern eine Quelle großen Trosts und großer Freude sein konnte. Dann schlief er ein, und Willy war noch immer bei ihm, war in all seinem brüchigen Glanz wiederauferstanden und tat so, als sei er blind, während Mr. Bones ihn die Stufen zur U-Bahn hinabführte. Es war dieser windige Tag im März vor viereinhalb Jahren, erkannte er, dieser komische Nachmittag voll großer Hoffnungen und enttäuschter Erwartungen, als sie gemeinsam nach Coney Island gefahren waren, um Onkel Al die Geruchssymphonie vorzuspielen. Willy hatte zur Feier des Tages eine Weihnachtsmannzipfelmütze getragen, und mit dem riesigen Plastikmüllsack über der Schulter, in den er das gesamte Material für die Symphonie gestopft hatte und der ihn zu einem leicht gebeugten Gang zwang, sah er wirklich so aus wie eine heruntergekommene Version des Weihnachtsmanns. Wohl wahr, daß die Sache nach ihrer Ankunft in Coney Island nicht so gut lief, aber das lag nur an Onkel Als schlechter Laune. Er war nicht Willys richtiger Onkel, sondern nur ein Freund der Familie, der Willys Eltern unter die Arme gegriffen hatte, als sie aus Polen gekommen waren, und er duldete Willy und Mr. Bones nur aus alter Treue zu Momsan und ihrem Mann in seinem Laden. Eigentlich hatte er auch mit dem Kuriositätengeschäft nichts am Hut, und da



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